Die Veränderungen des Strafsystems
zwischen 260 v.d.K. und 1170 n.d.K.

von Gilt Modiak


Aus heutiger Sicht erscheinen Strafrecht, Strafverfahren und Strafvollzug in der Zeit vor der Königin als unvorstellbar grausam und mitleidslos. Die mit phantasievollen Qualen verbundenen öffentlich vollstreckten Hinrichtungen wurden von der Obrigkeit bewußt als Volksfeste inszeniert. Es gab sogar Städte, die bereit waren, für solche Gelegenheiten zu bezahlen, um sich eine Hinrichtung zu kaufen.
Wie ist eine solche Einstellung zu erklären?

Präsiandrisches Strafrecht darf nicht mit heutigen Maßstäben gemessen werden. Heutzutage hat Strafjustiz die Aufgabe, dem Straftäter die Grundlagen für ein straffreies Leben zu vermitteln, ihn nach Möglichkeit wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Strafjustiz der frühmonarchischen Zeit hatte eine gänzlich andere Funktion.
Das gesamte soziale Leben war eingebettet in den Zwiespalt zwischen der göttlichen Ordnung und dem, was die Könige samt ihren Priestern daraus ableiteten. Straftaten stellten diese Struktur in Frage. Gesellschaft und Geschichte galten als Schauplatz des Kampfes zwischen den Göttern und ihren Widersachern. Ein Straftäter hatte in diesem Kampf die Seite des Bösen eingenommen und dadurch die göttliche Ordnung verletzt.
Im Strafrecht ging es also nicht um bloße Verfolgung und Ahndung von Rechtsbrüchen, sondern um die Wiederherstellung der göttlichen Ordnung. Die Bestrafung, ja die Vernichtung des Übeltäters bedeuteten den Sieg des Guten und waren somit Aufgabe aller Gläubigen. Bei der schon damals vorhandenen, wenn auch noch nicht so ausgeprägten Vielfalt der Glaubensrichtungen war es schwer zu erkennen, welche der zahlreichen Varianten der göttlichen Ordnung nun die "richtige" sei.

Die Könige setzten natürlich stets ihren eigenen Glauben als maßgeblich ein und änderten daher oft die Gesetze, die ihr Vorgänger - konform zu seinem Glauben - aufgestellt hatte. Durch die vielen religiösen Gebräuche, die aus ihrer Natur heraus weder gesetzlich noch priesterlich festgeschrieben waren, sondern teils der Überlieferung folgten, teils von Hohepriestern neu eingeführt wurden, bestand auf Dauer eine erhebliche Rechtsunsicherheit.
Nicht nur, daß man als Untertan (der Begriff des Bürgers wurde erst durch die Königin herausgestellt) nie wissen konnte, was für Regelungen man abschließend befolgen sollte; der König konnte auch unverhofft sterben (wie es etwa bei Semjin II., Uraces und Quracar der Fall war), wobei der Nachfolger bisweilen sogleich Verhaftungen ehemals gesetzestreuer Männer anordnete und sie aus Gründen, die man heute nur als Willkür bezeichnen kann, bestrafte.

Im Grunde gab es kein Strafen im heutigen Sinne. Vielmehr wurde der Delinquent als schädliches Glied der Gesellschaft herausgestellt, bisweilen auch getötet, um die Gesellschaft vor ihm zu schützen. Das Individuum spielte dabei überhaupt keine Rolle, die Gesellschaft (verkörpert durch Wille und Person des Königs) stand ganz eindeutig im Vordergrund...
 


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